Artikel in DIE WELT
DIE WELT berichtet in ihrer Ausgabe vom 17.07.2004 über das Laufen als Therapie für gestresste Manager:
Einfach loslaufen
Eine Lauftherapie hilft gestressten Managern beim Abschalten
von Yvonne Spanier
Die Anforderungen in Beruf und Privatleben überfordern viele Menschen. Sie sind abgespannt, müde und nervös. Der Stress zerstört das seelische Gleichgewicht. Der Körper reagiert mit Kopfschmerzen oder Verspannungen. Nicht selten kommen Bluthochdruck und Kurzatmigkeit hinzu. „Ich war körperlich am Ende und wusste, dass ich mein Leben ändern musste“, schildert Jürgen Wurm (46) seine Situation. Als Manager des Hamburger Instituts für Sozial- und Bildungspolitik stand er beruflich derart unter Stress, dass er gesundheitliche Schäden davontrug. Nach einer Operation begriff Wurm endlich, dass er seine Fitness Step by Step wieder aufbauen musste, um belastbar zu sein. „Ich suchte deshalb eine sportliche Betätigung, mit der ich meine Ausdauer und Kondition trainieren konnte.“ So kam er zur Lauftherapie: sanftes aerobisches Laufen nach der Methode von Professor Dr. Weber.
Der Wegbereiter der Lauftherapie in Deutschland gründete 1988 das Deutsche Lauftherapiezentrum e.V. (DLZ). „Gesund ist der Mensch von unten nach oben…“ Unter dieses Motto stellte Alexander Weber seine Gesundheit und Fitness. Gewöhnlich läuft er drei- bis viermal wöchentlich zwischen 40 und 90 Minuten, um fit zu bleiben. Fit sein bedeutet Lebensfreude, Lebensqualität und Lebensgenuss. Und das bis ins hohe Alter. „An jedem Tag, an dem ich meine Laufsachen anziehe, werde ich neu geboren“, sagt der 66-Jährige. Er läuft seit seinem 30. Lebensjahr. In den 60er Jahren war er wissenschaftlicher Assistent an der Universität und arbeitete mehr als zwölf Stunden am Tag. „Das schlaucht und die Gesundheit leidet“, erinnert sich der Professor. Zur Stresskontrolle begann er mit dem Laufen und kann es seitdem nicht mehr lassen.
Der Professor und sein Paderborner Verein sehen ihre Aufgabe darin, die Idee der Selbsthilfe weiterzugeben. Im Laufe der Jahre wurden zu diesem Zweck rund 250 Lauftherapeuten ausgebildet.
Einer von ihnen ist Dr. Rüdiger Carlberg aus Amelinghausen. Hauptsächlich für Manager und Führungskräfte bietet er das therapeutische Laufen als Ausgleich an, um die Gelenkbeweglichkeit wieder herzustellen. Der Zahnarzt war selbst zu Jugendzeiten ein guter Sportler – bis zum Abitur. „Dann begann während des Studiums meine unsportliche Laufbahn: studieren und pausieren bei Alkohol und Parties“, so der 45-Jährige. Als das Übergewicht ihn aus der Puste brachte und er seine Wohnung im fünften Stock nur noch mit Erholungspausen erreichte, kam die Einsicht: „Das kann nicht sein, ich muss wieder etwas tun!“ Und Carlberg tat etwas: Er lief um seine Gesundheit. Zuerst zweimal die Woche und dann dreimal etwa eine halbe Stunde. 1990 sah er, wie die Marathonläufer in Berlin zum ersten Mal nach der Wiedervereinigung durch das Brandenburger Tor liefen. Carlberg war begeistert. Das wollte er auch schaffen. Er kaufte sich das Buch „Marathontraining“ von Manfred Steffney und fing an. „Zuerst lief ich zehn Kilometer, und dann steigerte ich mich langsam.“ 1991 nahm der damals 32-Jährige dann am Berlin-Marathon teil. Seine Begeisterung am Laufsport begleitet ihn nun auf allen Wegen, und als Therapeut gibt er sie weiter – zum Beispiel an Jürgen Wurm. „Innerhalb von vier Monaten war ich unter Anleitung so weit, dass ich eineinhalb Stunden laufen konnte. Dauerlauf ohne Pause“, betont Wurm, der zurzeit als freier Mitarbeiter in der Berliner Wirtschaftsakademie ist, nicht ohne Stolz. Seit diesem Erfolgserlebnis vor einem Jahr fühlt sich der 46-Jährige ausgeglichener und ist konzentrierter. Er ist davon überzeugt, dass diese Bewegungstherapie jedem Menschen mehr Selbstbewusstsein gibt. Auch Arbeitslosen, die schon den Mut verloren haben. „Paetec steht mit dem Arbeitsamt Berlin Süd-West in Verbindung, um ein solches Projekt zu starten“, so Wurm. Doch Laufen allein reicht nicht, um fit zu sein. Der Lauftherapeut achtet auch auf seine Ernährung und trinkt mindestens zwei Liter Wasser am Tag. Erstrebenswert sei der Einklang zwischen Körper, Geist und Seele. Erst dann gehe die Therapie auf.
Das bestätigt Alexander Weber: „Wenn man länger läuft, geht es nicht mehr um die Gesundheit allein, sondern man läuft für das seelische Gleichgewicht.“ Das so genannte sanfte Laufen hat viele positive „Nebenwirkungen“: Es kann der Prophylaxe dienen oder auch bei der Rehabilitation helfen. Laufen ist Arbeit oder Spiel. Auf die richtige Mischung und Anwendung kommt es an. Der Professor zitiert in der DLZ-Rundschau (1 /02) dazu George Sheehan: „Horch in deinen Körper!“ Der Amerikaner (1918 – 1993) war einer der ersten Wegbereiter der Lauftherapie. Und seine Erkenntnis begeistert noch heute: Wer gelernt hat, die Signale seines Körpers bewusst wahrzunehmen und ehrlich zu deuten, macht das Richtige.