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Artikel in der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ)

Die RNZ berichtet in ihrer Ausgabe vom 08./.09. März 2008 über die positiven Auswirkungen des Laufens und der Bewegung allgemein:

Bleiben Sie in Bewegung!

von Christina Brüning

Deutschland ist zu einem Land von Stubenhockern geworden. Das dickste Volk Europas bewegt sich zu wenig. Dabei macht regelmäßige körperliche Aktivität nicht nur schlank und glücklich, sondern auch gesund. Mittlerweile wird gezielte Bewegung sogar als Therapie für Schwerkranke eingesetzt, die althergebrachte Bettruhe hat ausgedient. RNZ-Autorin Christina Brüning. hat recherchiert, warum Bewegung eine Kraft ist, die das Leben verlängert.

Jonas läuft um sein Leben. Sein Puls wird immer schneller, Röte steigt ihm ins Gesicht, er schwitzt. Tapp, tapp, tapp, tapp – wie von allein eilen seine Füße über den Asphalt. Der Neckar fließt wie immer bedächtig und dunkel glitzernd zu seiner Linken durch die Dämmerung. Er sieht ihn kaum, er schaut nur nach vorn auf den Weg und rennt. Niemand ist hinter Jonas her, keiner hetzt ihn – nein, Jonas treibt Sport, zusammen mit Dutzenden anderen Joggern läuft er mehrmals die Woche den Neckar entlang und verlängert so wahrscheinlich mit jedem Schritt sein Leben.

Der Zusammenhang zwischen Sport und Gesundheit ist sprichwörtlich seit den alten Griechen bekannt. Bereits Hippokrates (um 460-377 v Cht) empfahl seinen Patienten zu laufen und Gymnastik zu treiben. Zwischen der Antike und dem 20. Jahrhundert geriet diese Weisheit jedoch in Vergessenheit. Erst als der Mensch der Moderne in den westlichen Industrienationen sich immer weniger bewegte, Wohlstandsspeck ansetzte und durch den Mangel an Bewegung krank wurde, entdeckten Wissenschaftler in den USA die Zauberformel „Bewegung = Gesundheit“ neu. Mittlerweile gehört Sport zum festen Bestandteil einer gesunden Lebensweise. Seit Meldungen über Adipositas und so genannte „Altersdiabetes“ bei Kindern kursieren und Deutschland zu einem der übergewichtigsten Völker der Welt wurde, hat sogar das Fernsehen den Trend „Sport“ aufgegriffen. Ob Gesundheitschecks oder Doku-Soaps Bewegung ist in. Meistens wird Sport jedoch nur in Zusammenhang mit Gewichtsreduktion und -kontrolle genannt.

Regelmäßige Bewegung leistet jedoch viel mehr.
„Die Hälfte aller Menschen stirbt an einem Versagen des Herz-Kreislauf-Systems“, erklärt Professor Gerhard Huber, Leiter des Arbeitsbereichs „Sport und Gesundheit“ am Institut für Sportwissenschaft der Universität Heidelberg. „Herz und Kreislauf bilden sozusagen eine Schwachstelle unseres Körpers. Es ist aber ganz erstaunlich, welch positiven Einfluss Bewegung auf dieses System hat.“ Was Laien allgemein unter einer Verbesserung der Kondition durch Bewegung verstehen, ist ein tiefgehender Anpassungsprozess des Körpers an die körperliche Aktivität: Der Herzmuskel wird stärker, die Gefäße vermehren und vergrößern sich, dadurch werden größere Mengen sauerstoffreichen Blutes transportiert und die Organe besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Die Stoffwechselaktivität erhöht sich dauerhaft, der Körper verbraucht mehr Energie nicht nur während der sportlichen Aktivität, sondern auch im Ruhezustand. „Es wirkt!“, verkündet Professor Huber begeistert, „Wer sich bewegt, verbessert hundertprozentig seine Blutwerte – auch bei hohem Blutdruck, Diabetes oder Stoffwechselstörungen. Da gibt es keine Ausnahmen!“

Den Muskelabbau aufhalten

Der Aufbau von Muskelmasse nützt aber nicht nur dem Stoffwechsel. Kräftige Muskeln schützen Gelenke und Wirbelsäule vor Fehlbelastungen und geben Stabilität. Je mehr Muskeln, desto weniger wird der Körper bei Anstrengungen strapaziert. Eine scheinbar banale Erkenntnis, doch in ihr liegt der Schlüssel zum Traum von ewiger Jugend vergraben. Wir altern und- werden altersschwach, weil der Körper mit den Jahren Muskeln abbaut. Professor Huber verspricht: „Der Prozess des Muskelabbaus lässt sich aufhalten. Dafür ist es nie zu spät, denn Bewegung zeigt an dieser Stelle sogar bei 90-Jährigen noch Erfolge.“ Schon wenige, kurze Bewegungseinheiten bringen einen positiven gesundheitlichen Effekt. Früher ging man immer davon aus, der Mensch müsse sich mindestens drei Mal die Woche eine Stunde durchgehend körperlich bewegen, um gesund zu bleiben. „Jeder Schritt zählt!““ ist heute dagegen der Tenor. „Schon kleine Spaziergänge zeigen Wirkung“, sagt Huber, „Hauptsache gleichmäßig und regelmäßig!“

Bewegung statt Bettruhe

„Schonen Sie sich doch erst einmal!“ raten noch immer viele Ärzte ihren Patienten nach einer Operation. Die ärztlich verordnete Bettruhe ist als Therapie seit Jahrhunderten geläufig. Seit einigen Jahren dämmert in der Medizin jedoch die Erkenntnis, dass diese Schonung des Körpers der Genesung in vielen Fällen eher abträglich ist. Das britische Medizin-Fachblatt „The Lancet“ bezeichnete die Bettruhe 1999 gar als eine „potenziell gefährliche Behandlung“ und überprüfte gezielt die Auswirkungen der Schonungstherapie. Das Ergebnis: in den meisten Fällen trat durch Bettruhe keine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Patienten ein, in einigen Fällen kam es durch die Inaktivität sogar zu einer Verschlechterung. Bewegung dagegen kann die Genesung beschleunigen.

In Heidelberg werden diese Erkenntnisse seit einiger Zeit in die Praxis umgesetzt. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) etwa ermuntert Krebspatienten zu mehr Aktivität und bietet hierfür betreute Bewegungstherapie an. „Das größte gesundheitliche Problem für Krebspatienten neben der eigentlichen Erkrankung ist die Entkräftung, erklärt Holger Krakowski-Roosen, Leiter der Arbeitsgruppe „Krebs und Sport“ am DKFZ. Bis zu 30 Prozent des Körpergewichts würden durch die Erkrankung verloren gehen.“ Kachexie“ ist der medizinische Fachbegriff für diesen schlechten körperlichen Zustand der Patienten. „Bei Menschen mit Pankreaskrebs liegt die Haupttodesursache nicht im Tumor selbst, sondern in der Kachexie“, klärt Krakowski-Roosen auf.

Ernährungsprogramme zur Gewichtszunahme seien bei kachektischen Patienten wenig erfolgreich, erklärt der promovierte Sportwissenschaftler weiter, damit erreiche man höchstens eine Stabilisierung des Gewichts, aber keine Verbesserung.

Nur mit Sport sei der Kachexie beizukommen. Nachdem eine Pilotstudie in den Jahren 2003 bis 2006 gezeigt hatte, dass Krebspatienten durch Bewegungstherapie bis zu 20 Prozent an Kraft zulegen können, bietet das DKFZ nun zwei Mal in der Woche Krafttraining, für Krebskranke an. Die Studie hat gezeigt, dass die Muskeln bei kachektischen Patienten immer noch trainierbar sind, die Muskelmasse wird durch die Erkrankung also nicht zerstört, sondern schrumpft. „Früher war Kachexie eine Einbahnstraße ohne Wiederkehr“, berichtet Krakowski-Roosen, „Heute ist das nicht mehr der Fall.“ Der Sportwissenschaftler betreut das Krafttraining und weiß nur Positives zu berichten: „Meine älteste Patientin ist 80 Jahre alt und erzählte mir neulich, sie habe ,solche Kugeln am Arm bekommen‘ – sie hatte ihren Bizeps entdeckt.“

„… weil es ihnen gut tut.“

Das Training wird an das Therapiestadium angepasst, aber egal ob nach einer Operation oder während der Chemotherapie – Bewegung ist fast immer empfehlenswert. Die Patienten wissen besonders die Steigerung ihrer Lebensqualität durch die regelmäßige Bewegung zu schätzen, haben die Wissenschaftler am DKFZ festgestellt. „In der Therapie sind die Patienten immer passiv, fühlen sich ihrer Krankheit, den Ärzten und dem Pflegepersonal ausgeliefert“, erklärt Krakowski-Roosen. Durch den Sport könnten sie auf einmal aber aktiv etwas für sich und ihren Körper tun. „Meine Patienten schleppen sich teilweise in einem schlimmen körperlichen Zustand noch zum Training, weil es ihnen so gut tut.“ Zu Hause zu bleiben und sich zu Tode zu schonen bringe eben auch nichts, so ihre Devise.

Die positiven Auswirkungen der Bewegung auf die Lebensqualität von Krebspatienten kann auch Joachim Wiskemann bestätigen. Er betreut ein Projekt des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, das die Wirkung von Sport- und Bewegungstherapie bei „Patienten unter Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender hämatopoietischer Stammzelltransplantation“, also bei Leukämiekranken, denen körperfremde Stammzellen transplantiert werden, untersucht. Beobachtet wird, welchen Effekt Bewegung auf die Psyche und den Körper der Patienten hat. „Sobald die Patienten sich zur Transplantation entschließen, fangen wir mit der Bewegungstherapie an“, so Wiskemann.

Die Patienten sollen die Bewegung in ihren Alltag integrieren, beginnend etwa zwei bis sechs Wochen vor und andauernd bis zu acht Wochen nach der Transplantation. Auch während die Patienten unter Isolation in ihren Krankenzimmern „gefangen“ sind, wird ihnen mit einem stationären Fahrrad im Zimmer die Möglichkeit zur Aktivität geboten. Die Studie, an der Kliniken in Heidelberg, Mannheim und Wiesbaden beteiligt sind, läuft noch bis Ende 2008, doch schon jetzt zeichnen sich erstaunliche Erfolge ab: Die Patienten fühlen sich besser, können leichter mit dem körperlichen und psychischen Stress ihrer schweren Erkrankung umgehen. Wiskemann: „Die Angst vor dem Tod und dieses unbestimmte Gefühl, dass etwas mit ihrem Körper nicht stimmt, macht den Patienten schwer zu schaffen. Die Bewegung hilft, diesen Stress abzubauen.“ Darüber hinaus gelänge körperlich aktiven Patienten die Re-Integration in ihren Alltag und den Beruf nach der Transplantation besser.

Auch leichter messbare Erfolge deuten sich an: Die Zeit, die das Immunsystem braucht, um nach der Transplantation normal zu funktionieren, ist bei körperlich aktiven Patienten offensichtlich kürzer. „Wir vermuten, dass sich das Immunsystem durch die Stimulation der Bewegung schneller regeneriert“, so Wiskemann. Auch verlangten körperlich aktive Patienten weniger nach Schmerzmitteln und Medikamenten gegen Übelkeit. Die Isolationsmaßnahmen nach der Transplantation könnten so schneller zurückgefahren werden. Da die Studie noch läuft, können natürlich noch keine abschließenden Aussagen gemacht werden, aber die bisherigen Ergebnisse sprechen bereits für sich.

Bleibt der Krebspatient auch nach der Therapie bei regelmäßiger Bewegung, so wird auch die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls geringer. Bei Brust- und Darmkrebspatienten halbiert sich durch körperliche Aktivität sogar die Gefahr einer Wiederkehr des Krebses. Für andere Krebsarten steht eine wissenschaftliche Erforschung dieses Effekts noch aus. Überhaupt steht die Wissenschaft bei der Frage nach dem Zusammenhang von Bewegung und Gesundheit noch relativ am Anfang der Forschung. So ist zum Beispiel der Effekt von Sport auch auf die geistige Fitness kaum erschlossen. Anmerkung

Auch gibt es keine Forschungsergebnisse, die pauschal belegen, dass Bewegung das Leben verlängert. „Aber wir wissen, dass körperlich aktive Menschen zumindest gesünder sterben“, meint Professor Huber. Die Aussage mag zynisch klingen, doch bei näherem Hinsehen enthüllt sie ihre eigene Philosophie: Das Ziel ist nicht, dem Leben Jahre hinzuzufügen, sondern den Jahren Leben. Und so gesehen ist Bewegung dann wirklich eine Kraft, die das Leben verlängert.

Anmerkung: Auch der Effekt von Bewegung auf die geistige Fitness wurde und wird untersucht. Zu nennen ist hier insbesondere der Sportmediziner und ehemalige Leiter der Sporthochschule Köln Professor Wildor Hollmann. Seit mehr als vier Jahrzehnten weist er darauf hin, dass Sport die körperliche und geistige Fitness im Alter erhält. In einer der vielen Studien untersuchte Hollmann eine Gruppe 60jähriger Menschen: Die 1. Gruppe war die Kontrollgruppe, die ein Jahr wie gewohnt weiter leben sollten. Die 2. Gruppe absolvierte jeden Tag für 30 Minuten ein Gedächtnistraining und die 3. Gruppe machte jeden Tag für 30 Minuten einen zügigen Spaziergang.

Das Ergebnis:

1. Gruppe 2. Gruppe 3. Gruppe
Kontrollgruppe Gedächtnistraining zügiger Spaziergang
wie gewohnt 30 Minuten / Tag 30 Minuten / Tag
– 4% Gedächtnisleistung + 20% Gedächtnisleistung + 40% Gedächtnisleistung